Zu Halloween werden am Freitag wieder zahllose Blutsauger in der Stadt unterwegs sein. Vampirforscher Eric Steinhauer erklärt ihre Faszination

In der Nacht zu Sonnabend lauern den Menschen auf den Straßen wieder Geister, Dämonen und Vampire auf. Gefeiert wird Halloween, ursprünglich „All Hallows Eve“, der Abend vor Allerheiligen. Das Fest hat seinen Ursprung bei den Kelten, danach kehren Verstorbene aus dem Totenreich zurück. Irische Einwanderer brachten den Brauch im 19. Jahrhundert in die USA, inzwischen ist er auch hier angekommen. Rund 200 Millionen Euro lassen sich die Deutschen den gruseligen Spaß pro Jahr kosten. Zu Halloween gehört auch, dass Kinder von Haus zu Haus ziehen und Süßigkeiten verlangen. Doch nicht alles ist erlaubt unter dem Motto „trick oder treat“, gib Süßes oder es gibt Saures. Wer Farbe an Wände sprüht, Türschlösser verklebt oder Autos zerkratzt, begeht Sachbeschädigung. In den vergangenen Jahren haben laut Polizei eskalierende Streiche stark zugenommen.

Besonders begehrt bei den Kostümen an Halloween sind Vampire. Doch was ist eigentlich so faszinierend an den Blutsaugern? Und woher kommen sie? Eric W. Steinhauer beschäftigt sich seit Jahren mit Vampirmythen, sein Buch „Vampyrologie für Bibliothekare“ erschien 2011. Der Jurist ist Bibliotheksdirektor an der Fern-Universität in Hagen. Er lehrt Informations- und Urheberrecht an der Humboldt-Universität. Seit 2009 hält er dort jährlich eine Halloween-Vorlesung.

Berliner Morgenpost:

Wann und wo ist der erste Vampir aufgetaucht?

Eric W. Steinhauer:

Schon in der Antike gab es Berichte von blutsaugenden Wesen, auch in Volkssagen und Märchen tauchten sie immer wieder auf. Aber kulturell wirksam geworden sind sie erst im 18. Jahrhundert, als die Praktiken der Vampirabwehr und eine aufgeklärte Verwaltung aufeinandertrafen: auf der einen Seite der Glaube, dass ein Toter aus dem Grab heraus die Lebenden schädigen könne und man die Leiche deshalb zerstören müsse. Und auf der anderen Seite die Verwaltung, die so etwas nicht dulden konnte und diese Praktiken untersucht hat. Anschließend wurden amtliche Berichte geschrieben. Diese Berichte waren ein bisschen zweideutig: Einige der exhumierten Leichen sahen etwas merkwürdig aus und nach ihrer Zerstörung hörten die nicht gut erklärbaren Todesfälle im Umfeld plötzlich auf. Auf diese Weise wurden die Vorgänge aktenkundig und blieben dennoch im Zwielicht. Deshalb fanden sie große Resonanz in den ersten Presseorganen und verbreiteten sich in ganz Europa. Für die Wissenschaft wurden sie zur Herausforderung: Wie konnte man diese Phänomene erklären? Geister, Vampire, so etwas kann es ja vor dem aufgeklärten Geist nicht geben.

Viele Menschen haben dennoch an Vampire geglaubt. Wo kam dieser Glaube her?

Diese Frage führt tief in die Ethnologie, ja in die Psychologie, dass man an Wesen glaubt, die sich zwischen Toten und Lebenden hin- und herbewegen und aus den Lebenden Kraft schöpfen, um zu existieren. Das sind ganz alte Vorstellungen, die etwas mit Dämonen- und Geisterglauben zu tun haben.

Woher kommen die typischen Merkmale des Vampirs, die Blässe, die spitzen Eckzähne?

Die Literatur spielt dabei eine große Rolle. Unser heutiges Bild vom Vampir ist stark geprägt durch Bram Stokers berühmten Roman „Dracula“, der die unterschiedlichen Stränge aus dem Geflecht von Vampirgeschichten zusammengefügt hat. Dass der Vampir Blut saugt, hat sicher etwas mit den Berichten über Erkrankungen zu tun. Dazu gibt es die unterschiedlichsten Theorien, dass das Blutkrankheiten waren, die einen blass werden ließen, die das Zahnfleisch zurückgehen ließen, wodurch die Zähne hervortraten. All das zusammen hat dieses schlüssige Bild des Vampirs ergeben, das sich durch die Medien verbreitete.

Sehr verändert hat sich der Vampir seit Bram Stoker nicht.

Eigentlich nicht. Aber man kann am Vampir unterschiedliche Dinge betonen. Das kann das Gewalttätige, Unheimliche sein, es kann aber auch etwas Traurig-Melancholisches sein, das Nicht-Sterben-Können, die Sehnsucht Menschen gegenüber, die sich im Blutdurst äußert. Wenn ich die Geschichten um „Twilight“ angucke, haben die Vampire ein ganz anderes Gepräge bekommen. Aber dieses Blutsaugen zieht sich natürlich durch alle Geschichten, sonst hätten wir auch keinen Vampir.

Warum ist der Vampir so viel populärer als Werwölfe oder Poltergeister?

Das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass der Vampir, wie er in der Literatur dargestellt wird, äußerst intelligent ist, und dass er immer eine starke Nähe zur Literatur hatte. Ein Grund könnte auch darin liegen, dass man Vampire eine Zeit lang als wirklich existent annahm. Das war eine gelehrte, intellektuelle Vorstellung im 18. Jahrhundert, als es im Denken noch viele irrationale Elemente gab, während man gleichzeitig mitten in der Aufklärung war. Beim Vampirphänomen untersuchte man quasi naturwissenschaftlich etwas Übernatürliches. Darin lag ein besonderer Reiz. Man hat sogar gelehrte Dissertationen über das Thema geschrieben. Weil über Vampire so viel publiziert wurde, bekamen sie ein ganz anderes intellektuelles Gepräge, was sich dann in den literarischen Darstellungen fortsetzte. Ein Werwolf hingegen konnte einfach schon von seiner Erscheinung her als völlig irrational und märchenhaft abgetan werden.

Was fasziniert Sie am Phänomen des Vampirs?

Ich bin auf den Vampir gekommen, als ich mich mit morbiden Bibliotheksphänomenen beschäftigte. Konkret mit Bestattungen in Bibliotheken, ein merkwürdiges Phänomen. Bibliotheken sind Orte, ähnlich wie Friedhöfe, in denen die Toten noch sehr lange präsent sind. Das taucht die Bibliotheken in ein gewisses Zwielicht. Bei meinen Forschungen sind mir die Vampire begegnet, für die sich im 18. Jahrhundert auch die Bibliothekare interessiert haben. Einer der großen Vampirologen war Gerard van Swieten, Wiener Hofbibliothekar und Mediziner. Durch ihn bin ich auf diesen Zusammenhang gestoßen, und dann hat sich das Ganze als sehr interessante und tragfähige These herausgestellt, dass Vampire und Bibliotheken eine starke Beziehung haben.